"Friedliche Koexistenzen" im August 2012 in der Galerie ROOT

Vom 09. August bis 02. September 2012 wurde zusammen mit der Künstlerin Barbara Gerasch in der Galerie ROOT am Savignyplatz  unter dem Titel "Friedliche Koexistenzen" Malerei präsentiert.  Die konkrete Kunst von Barbara Gerasch harmonierte sehr gut mit den figurativen Bildern von mir.

Auszüge aus der Eröffnungsrede von der Kunsthistorikerin Frau Michaela Nolte:

Unter dem Aspekt der Urbanität könnte ich nun zu Sabrina Kratz überleiten. Doch auch hier verhalten sich die Dinge sehr viel komplexer.

Ein Haus, aus dem Haare Flammen schlagen. Paare, in inniger Umarmung – einander so fern. Gesichter, in denen Erinnerungen sich ablagern, wie Sedimentgestein. Körper, die durchstreift werden von den Träumen vom Glück oder den Verheißungen der Warenwelt. Pointierte Nahaufnahmen der leisen Katastrophen, der flüchtigen Euphorie. Des ganz alltäglichen Beziehungswahnsinns.

Sabrina Kratz’ Malerei ist großes Kino. Eindringliche Erzählungen über Verluste, über die Einsamkeit – allein und in der trauten Zweisamkeit, im Großstadtdschungel oder im ländlichen Idyll.

In ihrer kraftvollen Symbolik kann sich wohl jeder von uns wiederfinden; entsteht das Kopfkino im Breitwandformat. Sinnliche, lustvolle Farben spielen darin. Mal hitzig aufsaugend, mal kühl abprallend, melancholisch oder schweißtreibend. Ob nach dem Liebesakt oder als kalte Wut nach einem Streit bleibt offen.

Sabrina Kratz scheut nicht, die Palette der Emotionen in ihrer ganzen Dimension auszuloten. Findet Farben für das Verlangen, für Sehnsucht und Erotik, für Schmerz und Trauer. Farben für die Dinge, die unser Leben ausmachen. Wenn das - bei aller Betonung der Gefühle und obwohl bisweilen Menschen, die ihr nahe stehen in die Bilder einfließen -, trotzdem nicht zu persönlich wird, so aufgrund einer ganz eigenen Bildfindung und Komposition.

Sabrina Kratz, Jahrgang 1960, hat im Laufe ihres Studiums, das sie 2011 als Meisterschülerin von Andreas Amrhein an der Akademie für Malerei Berlin abgeschlossen hat, eine Technik entwickelt, in der sie verschiedene Bilder übereinander schichtet. Auf den ersten Blick sehen wir Portraits. Doch handelt es sich nicht um Bildnisse, die den individuellen Charakter der Portraitierten einfangen. Malend collagiert Sabrina Kratz Gegenstände und Szenerien in die Gesichter und findet so zu einer abstrahierenden Ebene. Durch den Hintergrund des meist formatfüllenden Antlitzes scheinen oder vielmehr: drängen Szenen aus der jüngeren Film- oder Kunstgeschichte. Geschickt verwobene, surreale Doppelbelichtungen.

„Was vom Tage übrig blieb“ zeigt das eingangs erwähnte Haus, aus dem die Haare Flammen schlagen. Die Schauspielerin Keira Knightly in der Verfilmung des Romans „Abbitte“ von Ian McEwan aus dem Jahre 2007. In dem 2010 gemalten Bild wandert Knightly als Cecilia Tallis durch Edward Hoppers „American Landscape“, einer Radierung aus dem Jahre 1920. In „die Gedanken so frei“ sitzt die Schauspielerin in der gleichen Rolle in Hoppers berühmtem „Hotel Room“. Die Koffer schimmern durch ihre Schulterpartie, der Sessel wie eingebrannt in Stirn und Wange.

Doch beim Rückgriff auf filmische oder kunsthistorische Vorlagen geht es nicht um den Wiedererkennungseffekt. Es sind die prägnanten Gesten oder Gefühlsregungen, die ganz besonderen Augen-Blicke, die Sabrina Kratz in eine neue Symbolhaftigkeit, in einen zeitgenössischen Ausdruck übersetzt. Auch Edward Hopper war in seiner Malerei stark vom Film beeinflusst. Im Gegensatz zum großen Chronisten der amerikanischen Gesellschaft des frühen 20. Jahrhunderts, stellt Sabrina Kratz ihre Figuren nicht in gottverlassene Settings, sondern findet in der Überlagerung der unterschiedlichen Zeit- und Realitätsebenen zu einer dichten, fast bedrängenden Kompositionsform, die der Einsamkeit etwas sehr Gegenwärtiges verleiht. Die Simultaneität als Kompositionsprinzip steht so auch für den permanenten Bilderfluss oder das allseits geforderte Multitasking in der heutigen Gesellschaft.

Fetzen von Plakatwänden oder Zeitschriftenannoncen sind in „Wandlungen einer Ehe 3“ eingearbeitet. Das Hintergrundbild ist um 90 Grad gedreht, die 7up-Werbung könnte auf einer der Hauswände stehen. Nun durchkreuzt der Schriftzug das Gesicht, dessen Farbe identisch mit dem Rosa der Häuser ist. In „Die Erinnerung bleibt“ wird das schöne Antlitz von einem gekippten und türkisgrünen Schiffsbug durchzogen. Die ungewöhnliche Farbigkeit schafft eine notwendige Distanz und stimmt zugleich eine Tonlage an, die im Rückgriff auf Comic-Elemente auf die Pop-Art verweist. Nicht zuletzt wenn die Frau am Telefon („Wandlungen einer Ehe 3“) auf dem schmalen Grad zwischen Lachen und Verzweifelung echte Roy-Liechtenstein-Tränen weint.

Diese surrealen Bildschichtungen mit ihrer ganz speziellen Form der Häutung -, haben durchaus auch etwas Brutales und Zerstörerisches. So ist in „Abschied“ das Portrait der jungen Frau von Eisenpfeilern durchdrungen. Dennoch scheint gerade sie die bühnenartige Szenerie in der Fabrikhalle im Griff zu haben. Milde lächelnd, vielleicht traurig, aber auch erleichtert, wird der Abschied als Teil des Lebens akzeptiert. Der Leidende ist die kleine, männliche Figur im Vordergrund. Der elegante Anzug ist abgeschabt, hilflos greift die Hand zum Kopf, so, als habe er gerade einen Fehler erkannt. Es könnte aber auch ganz anders sein. Denn so erzählerisch die Bilder von Sabrina Kratz sind, sie bleiben trotzdem rätselhaft, surreal im besten Sinne.

In ihren inszenierten Arbeiten wie „bloß nichts anbrennen lassen“, in „unter Beobachtung“ oder „Allein“ kehrt die Malerin zu einem reduzierten Bildaufbau zurück. Die feine Melancholie und das Geheimnisvolle bleiben. Selbst da wo die Augen-Blicke vom Betrachter wegführen.

Bei Sabrina Kratz kann man Fernando Pessoa heranziehen: "Was wir sehen, ist nicht was wir sehen, sondern was wir sind.

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